Martine Alzin bekam erst 2017 die Diagnose und hilft seitdem der Lipödem Letzebuerg asbl bei der Aufklärungsarbeit zum Thema Lipödem. Sie steht bei Fragen immer zur Verfügung. Sie wünscht sich, dass anderen betroffene Frauen früher als sie von ihrer Krankheit erfahren und so noch eher handeln können.
"Wie sich mein Leben durch die Diagnose einer chronischen Krankheit positiv verändert hat..."
Martine Alzin - 14. April 2020
Wenn ich so zurück blicke, fing mein Lipödem-Leiden schon in der Pubertät an. Meine Beine waren immer etwas dicker gegenüber meinem Oberteil. Aber man sagte mir immer, das liegt so in der Familie.
Mit Sport änderten sich meine Beine nicht. Ich hatte sie so akzeptiert und zog immer lange Hosen an.
"Ich fühlte mich einfach nur noch dick"
Im Alter von 21 Jahren fing ich an mir dann doch Gedanken zu machen um meinen Körper. Ich fühlte mich einfach nur noch dick. Ich sah nur noch meine Beine, die sich einfach nicht veränderten. Ich fing an mit dem Muskelaufbau. Es formten sich auch schöne Muskeln an Armen und Bauch. Doch irgendwie, egal was ich machte, meine Beine blieben gleich. Wenn ich an meinen Körper hinab sah, sah ich nur diese dicken Beine, die überhaupt nicht ins Bild passten. Ich trug in Oberteilen 36/38 und in Hosen trug ich die Grösse 40. Dann fing auch meine Psyche an drunter zu leiden und fing an mal hier und mal da, auf eine Mahlzeit zu verzichten und auch sonst nicht mehr viel zu essen. Ich drehte jedes Lebensmittel dreimal um, um mir die Nährwerte und Kalorien anzusehen und fing an zu rechnen.
Doch desto mehr Sport und desto weniger ich ass, desto mehr nahmen meine Beine immer weiter zu. Ich nahm 30 Kilo zu in 2 Jahren. Meine Kleidergrösse änderte sich in Oberteilen auf 42 und in Hosen hatte ich jetzt schon die Grösse 46-48. Dazu kam, dass ich glaubte ich würde meine Beine nicht mehr tragen können. Sie wurden schwerer und schwerer. Dazu kamen nun auch Schmerzen, die mich in der Nacht auch wach hielten.
Doch ich gab meinen Sport nicht auf. Ich lief, und wollte es mit einem Halb-Marathon probieren. Dies lief auch sehr gut. Die Fitness war da, ebenso die Ausdauer. Doch die Schmerzen bremsten mich. Schnell laufen war nicht drin.
"Dann ist es eben so, ich bin halt einfach dicker."
Da fing ich an mir einfach nur noch zu sagen: „Dann ist es eben so, ich bin halt einfach dicker“. Ich fing auch so langsam an mich wieder selbst zu mögen. Denn ich tat ja viel für meinen Körper, aber wenn nichts hilft, dann hilft eben nichts. Die Sprüche von Anderen steckte ich irgendwie immer tapfer weg. Ich hatte ja auch viele Freunde, die mich so liebten wie ich war und die mir das auch zu verstehen gaben.
Mein Ehrgeiz war nicht zu bremsen. Ich nahm trotz Schmerzen am Urban Trail 2016 teil, zusammen mit meiner Mutter. Ich hatte in meinem Leben noch nie so viel Treppen gesehen. Ich quälte mich 13km jede einzelne Stufe hoch und wieder runter. Berg hoch und wieder runter. Und ich lief auch durchs Ziel. Ich war sehr stolz. Doch was sagte mein Körper? Beine wurden nicht dünner und ich nahm kein einziges Kilo ab. Sogar meine Arme wurden jetzt immer dicker und fingen an zu schmerzen. Wieder einmal mussten neue Klamotten her. Ich war am Rande der Verzweiflung.
"Endlich hatte ich die Antwort auf die Frage, die ich mir seit 8 Jahren stellte."
Doch dann sollte sich alles ändern in meinem Leben: meine Mutter machte mich aufmerksam auf eine Sendung auf RTL Télé Lëtzebuerg im Jahr 2017. Genau diese Sendung, die mir heute noch tief im Gedächtnis geblieben ist, mit Carole Olinger und Tammy Ruhl, sollte mein Leben verändern...
Meine Mutter überredete mich zum Arzt zugehen, und ich nahm mir sofort einen Termin. Dann das Ergebnis: Lipödem Stadium 2. Es klingt jetzt vielleicht verrückt, aber für mich war diese Neuigkeit eine Erleichterung. Endlich hatte ich die Antwort auf die Frage, die ich mir seit 8 Jahren stellte. Es liegt nicht an mir, ich bin einfach krank. Der Arzt verschrieb mir eine Flachstrick-Kompressionshose. Diese holte ich mir auch sofort. Ich wurde vermessen und die Hose wurde mir eine Woche später überreicht. Etwa 500€ kostete diese mich.
Mein Leben änderte sich komplett. 2017 hat für mich direkt ganz anders angefangen: die Schmerzen am Tag wurden erträglicher mir der Kompressionshose. Treppen steigen, bergauf gehen, alles fiel mir leichter. Natürlich wirkt diese Hose auch keine Wunder, aber sie vereinfachte mir das Leben erheblich. Ich ging wieder mit einem Lächeln im Gesicht durchs Leben.
Ich machte mich mal schlauer um die Krankheit. Denn nach der Diagnose, fühlte ich mich ziemlich alleine gelassen. Die Lipödem Lëtzebuerg a.s.b.l. hat mich sehr viel aufgeklärt und auch die deutsche Kampagne von Corinna Hansen-Krewer (Soul Feelings Fotografie) verfolgte ich nun sehr intensiv. Dann bekam ich die Chance an Corinnas Kampagne teilzunehmen. Hier traf ich auf 5 Frauen, die alle das gleiche Schicksal zu tragen haben, wie ich. Ich sah in jeder dieser Frauen ein bisschen was von mir.
"Ich wünschte mir diese, so wichtige, Op."
Die Löcher in meinem Leben, sie fingen an sich zu füllen. Ich bekam Antworten auf so viele Fragen. Mit meiner Krankheit in die Öffentlichkeit zugehen, war ein sehr schwerer und doch wichtiger Schritt für mich. Ich hätte nie gedacht so viel Unterstützung zu erhalten von so vielen aussenstehenden Personen. Und - was ich auch bewirken wollte und was mir gut gelungen ist - man fragt mich heute regelmässig: „Was ist das für eine Krankheit, die Du hast?“. Ich bin glücklich, dass man anfängt sich dafür zu interessieren, und ich stehe jedem zur Verfügung um Fragen zu beantworten und mache dies auch gerne.
Eine Heilung? Gibt es leider nicht zu 100%. Aber eine Operation kann die Krankheit sehr viel erträglicher machen. Und für mich gab es keine andere Lösung mehr. Durch die Unterstützung meines Patenonkels, konnte ich diese auch über mich ergehen lassen.
Erste Op: 26.06.2018: 8,5 Liter, Beine Hinten, und Unterarme
Zweite Op: 08.01.2019: 8 Liter, Beine vorne
Dritte Op: 07.05.2019: 5,4 Liter, Hüften und Arme komplett (Auch Unterarme nochmal), Korrektur am Schienbein
Es waren Qualen und es war mit vielen Schmerzen verbunden, aber es hat sich gelohnt. Ich trage heute immer noch eine Kompressions-Hose aber ich habe keine weiteren Lipödem-Schmerzen mehr.
Und auch vom Aussehen her, hat sich einiges geändert. Ich trage jetzt Hosengrösse 42, wo ich vorher 48 hatte. Aber dies kommt nicht alleine durch die Op's. Sport und Ernährung spielt heute noch eine grosse Rolle bei mir. Sogar noch viel mehr, weil ich nie wieder diese Schmerzen verspüren möchte.
Eure Martine